Leben in Hoi An – Wie mein Alltag als Rentner in Vietnam aussehen könnte
Bild von Ngọc Tuấn Ngọc auf Pixabay
Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, einfach loszulassen. Rente, ein paar Rücklagen, die Wohnung auflösen, Ballast abwerfen. Keine Verpflichtungen mehr – nur noch das, was wirklich zählt: Ruhe. Wärme. Und vielleicht ein Ort, an dem ich mich nicht mehr frage, wie es weitergeht, sondern einfach da bin.
Ich lande in meinen Gedanken immer wieder mal in Südostasien. Und immer öfter in Vietnam. Genauer gesagt in Hoi An. Keine Millionenstadt, kein Verkehrswahnsinn, sondern ein Ort, der wie aus der Zeit gefallen scheint. Vielleicht nicht für jeden, aber vielleicht für mich.
Ich sehe mich morgens auf einer kleinen Terrasse, irgendwo zwischen Reisfeldern und Palmen. Die Luft ist schon feucht, aber noch nicht heiß. In der Ferne kräht ein Hahn. Neben mir dampft vietnamesischer Kaffee, nicht diese Espressohärte, sondern langsam durch den Filter gezogener, kräftiger Schwarzkaffee, mit einem Schuss süßer Kondensmilch, die ich mir sonst eher selten gönne.
Ich bin nicht im Urlaub. Ich lebe hier. Zumindest in meiner Vorstellung.
Die Wohnung? Irgendwas Einfaches, aber mit Charme. Keine sterile Airbnb-Bude, sondern ein Haus mit Geschichte, vielleicht ein bisschen schief, aber mit Seele. Drei Zimmer müssten es schon sein, ich will schließlich auch mal für mich sein können, ohne dass der Abwasch in Sichtweite steht. 80 oder 90 Quadratmeter, das sollte machbar sein. Und laut dem, was ich bisher recherchiert habe, kostet mich das hier keine 300 Euro im Monat. Und das sogar Vollmöbliert, wenn man es will.
Das Wasser kommt aus der Leitung, klar. Der Strom ist billig, solange ich die Klimaanlage nicht rund um die Uhr laufen lasse. Internet? Glasfaser, schneller als bei mir zuhause. Nur das Wasser fürs Kochen kaufe ich in Gallonen. Ist wohl besser, für alle Fälle. Moskitos? Ja, gibt es definitiv. Puh, die würden mich nerven.
Ich frage mich, wie mein Alltag hier aussehen würde. Ich glaube, ich würde es ruhig angehen lassen. Morgens auf den Markt, mit meinem Futura Elektro-Dreirad, so ein kleiner Lastenkreuzer, der mehr nach Postauto aussieht als nach Roller. Aber er bringt mich überall hin, auch über die buckligen Wege zwischen den Feldern.
Ich würde frisches Gemüse kaufen, Eier, Reis, vielleicht etwas Tofu oder Fisch. Die Preise? Fast lächerlich. Ein Kilo Reis kostet hier weniger als ein Brötchen in Deutschland. Und das meiste ist frisch, kein Plastik, kein unnötiger Verpackungswahn.
Ich stelle mir vor, wie ich nachmittags am Fluss entlangspaziere, irgendwo bei An Bang oder zwischen den kleinen Kanälen im Dorf. Manchmal ist es schwül, das weiß ich, besonders in den Monaten vor dem Monsun. Aber ich weiß auch, dass es von Februar bis Juli recht trocken ist, mit Temperaturen, die meistens unter 33 Grad bleiben. Heiß, ja, aber nicht erdrückend. Und nachts fällt das Thermometer immerhin so weit, dass ich ohne Klimaanlage schlafen kann, zumindest mit einem Ventilator.
Die Menschen hier sollen freundlich sein. Zurückhaltend vielleicht, aber offen für Begegnungen. Ich weiß, dass ich die Sprache nicht sprechen werde, aber vielleicht lerne ich ein paar Sätze, ein paar Gesten, ein paar Namen. Ich habe aber auch keine Illusionen. Ich werde immer ein Fremder bleiben. Aber das kann auch entlastend sein.
Was ist, wenn ich mal zum Arzt muss? Die Frage lässt mich nicht los. Ich bin keine zwanzig mehr. Aber Da Nang ist nicht weit – und dort gibt es internationale Kliniken, sogar mit englischsprachigen Ärzten. Ich habe mich über die Vinmec-Klinik informiert. Keine Nobelklinik, aber modern, mit allem, was ich brauche. Ich würde mir wahrscheinlich eine private Auslandskrankenversicherung leisten. Nicht billig, aber auch kein Vergleich zu deutschen Beiträgen. Vielleicht 70 bis 80 Euro im Monat pro Person. Vielleicht auch etwas mehr – je nach Alter. Aber das wäre mir meine Gesundheit aber natürlich auf jeden Fall wert.
Die Sprache des Geldes ist hier übrigens eine ganz andere. Der Vietnam-Dong klingt im ersten Moment wie Monopoly-Geld – 26.000 Dong für einen Euro. Wenn ich auf den Markt gehe, zahle ich manchmal 15.000 Dong für ein paar Mangos. Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass eine Million hier nicht viel ist. Aber es geht. Ich würde mir ein einfaches Budget aufstellen, Miete, Nebenkosten, Essen, Versicherung. Wenn ich mal so grob durchkalkuliere, dann komme ich ohne große Ansprüche mit ca. 1.500 bis 1.700 Euro im Monat gut hin. Für 2 Personen zusammen.
Ob ich andere Deutsche treffen würde? Wahrscheinlich. Hoi An ist kein Berlin, aber es gibt einige. Und in Da Nang sowieso. In den Facebook-Gruppen schreiben Leute, die genau das schon gemacht haben. Ausgewandert mit kleiner Rente, irgendwo zwischen Meer und Markt, Ruhe und Abenteuer. Vielleicht würde ich den einen oder anderen mal auf einen Kaffee treffen. Vielleicht auch nicht. Ich war ja noch nie so wirklich der Stammtischtyp.
Und was würde ich sonst tun, den ganzen Tag? Vielleicht lesen. Schreiben. Ich würde wieder anfangen zu kochen. Ich würde mir einen kleinen Garten anlegen mit Kräuter, Papaya, Chilis. Und ich würde mir Zeit nehmen, die Welt um mich herum zu beobachten.
Vielleicht würde ich auch irgendwann den Moment finden, in dem ich zum ersten Mal das Gefühl habe: Ich bin angekommen. Nicht als Tourist. Nicht als Projektionsfläche. Sondern einfach als Mensch.
Vielleicht.
Ich glaube, ich würde mir nur eine kleine tägliche Routine aufbauen. Nicht diese rigiden Zeitpläne wie früher im Job, sondern etwas, das dem Tag Struktur gibt, ohne ihn zu fesseln. Vielleicht morgens eine Runde mit dem Dreirad unterwegs um die Gegend zu erkunden, den kleinen Schleichweg durch die Reisfelder nehmen, anhalten, wenn mir danach ist. Die Geräusche hier sind anders, mehr Natur, mehr Vogelstimmen, weniger industrieller Lärmpegel.
Manchmal stelle ich mir vor, wie ich in einem der Cafés in der Altstadt sitze. Es gibt ein paar, die von westlichen Auswanderern geführt werden, aber ich würde mich wahrscheinlich eher in die kleinen, unscheinbaren Lokallokale setzen. Die, in denen der Eiskaffee in Gläsern mit Kratzern serviert wird, und in denen niemand Englisch spricht. Ich würde ein paar Brocken Vietnamesisch lernen, nicht aus Pflicht, sondern weil es schön ist, wenn man wenigstens "Danke", "Wie geht’s?" und "Schmeckt gut" sagen kann.
Was ich vermissen würde? Sicher einiges. Ein gutes Schwarzbrot. Die Winterstille in Deutschland. Vielleicht auch das Gefühl, mal eben in den Wald gehen zu können. Aber vielleicht finde ich hier neue Rituale. Ich habe gehört, dass man in der Umgebung wandern kann, nicht wie in den Alpen, aber auf eine eigene, leise Art.
Und es gibt das Meer. Das beruhigt mich irgendwie. Ich war nie ein Strandurlauber, aber die Vorstellung, einfach am späten Nachmittag barfuß am Wasser entlangzuschlendern, während die Sonne langsam im Dunst versinkt, hat etwas Friedliches. Ich würde nicht jeden Tag hingehen. Aber ich wüsste, dass ich es könnte.
An den Regen müsste ich mich gewöhnen. Wäre aber wohl kaum ein Problem, denn eigentlich liebe ich Regen. Vor allem im Herbst, wenn der Monsun kommt. Manchmal schüttet es tagelang. Ich stelle mir vor, wie ich dann am Fenster sitze, mit einem Buch oder vielleicht einem Podcast, während draußen alles unter Wasser steht. Vielleicht würde ich mir in dieser Zeit angewöhnen, Dinge langsamer zu tun. Nicht gegen den Regen anarbeiten, sondern mit ihm zu leben.
Die Abende würden wahrscheinlich ruhig sein. Vielleicht würde ich kochen. Ein bisschen Gemüse anbraten, Reis dazu, eine Fischsauce drüber, fertig. Vielleicht würde ich auch einfach auf dem Markt etwas Warmes holen, was sie dort in kleinen Plastiktüten mitgeben, Pho, Banh Xeo, irgendwas, das ich noch nicht aussprechen kann.
Ich frage mich, ob ich mich manchmal einsam fühlen würde. Auch wenn man mit Partner da wäre. Wahrscheinlich schon. Das gehört dazu. Aber vielleicht fühlt sich die Einsamkeit hier anders an, nicht wie Leere, sondern wie Weite. Ich glaube, ich würde mich daran gewöhnen, dass man nicht alles verstehen muss. Dass man nicht überall dazugehört. Dass man manchmal einfach nur beobachten darf.
Und was ist mit der Bürokratie? Mit dem Visum? Ich weiß, dass das nicht ewig gültig ist. Es gibt Touristenvisa, längere Aufenthaltsvisa, sogenannte Business-Visa mit Agenturunterstützung. Ich müsste mich darum kümmern. Ich wäre darauf angewiesen, dass mir jemand hilft – vielleicht eine kleine Visa-Agentur in Da Nang oder Hoi An, die mir die Bürokratie abnimmt. Ich hätte gelernt, Geduld zu haben.
Wenn ich an meine Rente denke, frage ich mich, ob sie reichen würde. Aber ehrlich gesagt, wenn ich mit unter 2.000 Euro im Monat auskommen kann – zu zweit wohlgemerkt – dann wäre das mehr als nur irgendwie machbar. Es wäre befreiend. Keine Angst mehr vor Heizkosten, Mieterhöhungen, Inflation. Nur das Leben und ich.
Natürlich gäbe es Herausforderungen. Man muss bereit sein, loszulassen. Den gewohnten Komfort. Den Anspruch, dass immer alles reibungslos funktioniert. Man muss lernen, dass eine Ameise in der Küche kein Drama ist. Und dass nicht jede Straße asphaltiert sein muss, um ans Ziel zu führen.
Aber ich glaube, das wäre okay. Vielleicht sogar wohltuend.
Ich sehe mich abends draußen sitzen. Vielleicht mit meiner Partnerin, vielleicht auch mal allein. Über uns der Himmel, der hier größer wirkt, ohne Laternenmasten und Lichtverschmutzung. Ein lauer Wind streicht durch die Palmen, irgendwo zirpt etwas, das ich nicht benennen kann. Ich lehne mich zurück. Und denke, So fühlt sich vielleicht Frieden an.
Ich glaube, was mir am meisten gefallen würde, ist dieses tägliche Gefühl, dass der Druck einfach raus ist. Keine Termine, keine Bürokratiepost, kein ständiges „noch schnell erledigen“. Hier geht alles langsamer. Nicht unbedingt effizienter, aber irgendwie menschlicher. Und das wirkt auf mich wie Medizin.
Ich sehe mich morgens schreiben, nicht mit dem Anspruch, etwas veröffentlichen zu müssen, sondern einfach, weil ich wieder einen Gedanken habe, der mir wichtig ist. Vielleicht würde ich ein paar neue Fotos machen. Vielleicht würde ich alte Pläne wieder aufwärmen, die in Deutschland nie Zeit hatten, sich zu entfalten.
Und vielleicht, irgendwann, würde ich aufhören, alles mit dem alten Leben zu vergleichen. Ich würde nicht mehr sagen: „In Deutschland wäre das so oder so gewesen.“ Ich würde einfach nur sagen: „Heute war ein schöner Tag.“ Und das wäre genug.
Ob ich wirklich dorthin auswandere? Ich weiß es nicht. Aber allein der Gedanke daran gibt mir eine Art innere Kraft.
Nicht, weil ich die perfekte Lösung gefunden habe. Sondern weil ich endlich begonnen habe, mir selbst zu erlauben, über einen neuen Anfang nachzudenken. Nicht später. Nicht irgendwann. Sondern jetzt.
Hinweis:
Dieser Beitrag basiert auf persönlichen Überlegungen und eigenen Recherchen. Alle genannten Preise, Lebenshaltungskosten und Bedingungen beziehen sich auf den Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und können sich ändern. Der Text stellt keine rechtliche, medizinische oder steuerliche Beratung dar. Für individuelle Entscheidungen rund ums Auswandern, Visa, Versicherung oder Finanzen solltest du dich immer an Fachleute oder die zuständigen Behörden wenden.